Nach der Bundestagswahl: Interview mit Michaela Rosenberger "Wir sind jetzt besonders gefordert"

Michaela, CDU/CSU und die SPD haben deutlich verloren, die Alternative für Deutschland wurde drittstärkste Kraft – wie bewertest Du den Ausgang der Bundestagswahl?

Ich denke, viele Wählerinnen und Wähler haben diese Wahl für eine Generalabrechnung mit der Politik genutzt. Es hat sich viel Unzufriedenheit, aber vor allem auch ein Gefühl der Unsicherheit und Zukunftsängste, angestaut. Die große Zahl der Flüchtlinge die in unser Land gekommen sind und wie die Politik damit umgegangen ist, hat als eine Art Katalysator gewirkt und die gärende Stimmung befeuert. Die sogenannten Volksparteien, die zuletzt in der Großen Koalition gemeinsam regiert haben, wurden deutlich abgestraft, große Stimmanteile von CDU/CSU und SPD landeten diesmal bei der AfD. Der Erfolg der AfD beruht aus meiner Sicht vor allem auf diesem Protest und die Wut gegen die etablierten Parteien – echte Lösungen traut der Großteil der AfD-Wählerinnen und -Wähler der AfD gar nicht zu. Ich auch nicht.  

Stichwort AfD: Du hast deutlich Stellung bezogen und davor gewarnt, sich bei der Wahlentscheidung von Wut leiten zu lassen. Nun ist offenbar aber genau das passiert…

Ja, dabei bleibe ich auch: Wut gehört nicht ins Wahllokal. Aber natürlich kann ich die Wut und den Frust vieler Menschen voll und ganz nachvollziehen. Die Politik hat es nicht geschafft, drängende Probleme der Menschen zu lösen, sie blicken zu Recht mit Sorge in die Zukunft. Das Rentenniveau wird, wenn jetzt nicht endlich gehandelt wird – und damit ist bei diesem Wahlausgang leider nicht zu rechnen – weiter sinken. Und schon heute wissen viele Ältere kaum, wie sie über die Runden kommen sollen. Die Mieten in den Städten sind selbst für viele Normalverdiener kaum mehr zu bezahlen. Auf dem Land wurden in den letzten Jahren Polizeistationen, Krankenhäuser und Buslinien wegrationalisiert. So manche Schule ist in einem bedauernswerten Zustand. Viele Menschen hangeln sich seit Jahren von einem prekären Job zum nächsten. Die Liste könnte ich weiterführen – es gibt eine Menge, das schief läuft. 

Was erwartest Du jetzt, wo Wahlkampf und Wahl der Vergangenheit angehören?

Das Wahlergebnis ist eine klare Absage an eine Neuauflage der Großen Koalition. Von daher ist die Entscheidung der SPD, in die Opposition zu gehen, konsequent und auch mit Blick auf die Zukunft der Partei sicher richtig. Die neue Bundesregierung wird wohl von einer Dreier-Koalition aus CDU/CSU, FDP und den Grünen gebildet. Dass von der „Jamaica-Koalition“ eine Politik gemacht wird, von der die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer profitieren, ist allerdings zu bezweifeln. Insbesondere die FDP hat im Wahlkampf einmal mehr klar gemacht, dass mit ihr in altbewährter Manier zu rechnen ist. So will sie, zum Beispiel, das Arbeitszeitgesetz in seiner jetzigen Form abschaffen und die Kontrolle des Mindestlohns erschweren. Wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter sind also jetzt besonders gefordert und müssen zusammenrücken und die zu erwartenden Angriffe auf Arbeitnehmerrechte gemeinsam abwehren. Und wir wollen versuchen, vielen Menschen, die bei dieser Wahl ihrer Wut und Unzufriedenheit Ausdruck verliehen haben, zu zeigen, dass es sich lohnt, aktiv und gemeinsam mit anderen für mehr Gerechtigkeit und mehr Lohn zu kämpfen. Den Kopf in den Sand zu stecken und auf die „da oben“ zu schimpfen, bringt uns nicht weiter. Es gilt in die Hände zu spucken und sich für eine bessere Zukunft einzusetzen: Ich wüsste dafür keinen besseren Ort als unsere Gewerkschaft NGG.