NGG startet Gewerkschaftstag in Leipzig

Tariflohn als Rezept gegen den Fachkräftemangel

Leipzig, 5. November 2018

In Leipzig hat die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) ihren Gewerkschaftstag begonnen. Noch bis Freitag wird es dort um faire Arbeit und gute Löhne gehen. 166 Delegierte wollen die Weichen für arbeits- und sozialpolitische Themen stellen. Sie vertreten die rund 200.000 Mitglieder der NGG – von der Lebensmittelindustrie bis zum Gastgewerbe, von Brauereien und Bäckereien bis zu Fleischereien. Der Gewerkschaftstag steht unter dem Motto „Frische Rezepte für Gute Arbeit“.

Zum Auftakt des Gewerkschaftstages machte NGG-Vorsitzende Michaela Rosenberger deutlich, dass sich die Gewerkschaft für die Produktion von gesunden und ökologischen Lebensmitteln stark mache. Ebenso dafür, junge Menschen für die Berufe in der Ernährungswirtschaft zu gewinnen. Notwendig dazu seien gute und sichere Arbeitsplätze. In diesem Zusammenhang sprach sich Rosenberger dafür aus, die Entlohnung im Dienstleistungssektor schrittweise dem Industriestandard anzugleichen. Mit Blick auf das politische Klima in Deutschland forderte die scheidende NGG-Vorsitzende, dem Populismus, Nationalismus und Ausländerhass, aber auch dem Abbau von Sozialstandards und Frauenrechten etwas entgegenzusetzen.

Den Tariflohn stärken – das war eine der zentralen Botschaften von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) in seiner Rede zur Eröffnung des Gewerkschaftstages. Er forderte mehr Tarifbindung – gerade auch bei öffentlichen Aufträgen – und nahm dabei den Bund ins Visier: „15 von 16 Bundesländern – bis auf Bayern alle – kennen ein Tariftreuegesetz. Aber der Bund noch nicht. Es kann doch nicht sein, dass wir im Bund mit öffentlichen Aufträgen noch Lohndumping belohnen“, sagte Heil und sprach sich in Leipzig klar für die Schaffung eines Bundes-Tariftreuegesetzes aus.

Auch dort, wo der Staat Zuschüsse für das geplante Jobprogramm für Langzeitarbeitslose gibt, setzte Heil einen Akzent gegen den Niedriglohn: „Wir werden die Förderung des sozialen Arbeitsmarktes nicht auf Mindestlohn-Basis machen, sondern auf der Basis von Tariflöhnen.“

Heil warnte Unternehmen davor, die in der Arbeitswelt voranschreitende Digitalisierung nicht zur Ausbeutung zu missbrauchen: „Wir müssen dafür sorgen, dass technischer Fortschritt auch zum sozialen Fortschritt wird – und nicht zum Rückschritt“, so der Bundesarbeitsminister. Heil kündigte an, die sachgrundlose Befristung im nächsten Jahr – wie in der Großen Koalition vereinbart – zurückzudrängen. Dabei rechne er mit massivem Widerstand der Arbeitgeber, setze aber auf die Kraft und Unterstützung der Gewerkschaften.

Bundesarbeitsminister Heil kritisierte die teils prekären Arbeitsbedingungen bei Essenslieferdiensten scharf: „Schlecht bezahlt, das eigene Smartphone und das eigene Fahrrad mitbringen zu müssen – das ist Ausbeutung.“ Fahrradkuriere dürften nicht länger als Scheinselbstständige missbraucht werden, sagte Heil in seiner Rede. Der Arbeitsminister lobte hierzu die Initiative der NGG, in der Sparte Betriebsräte zu gründen.

Mit Blick auf den Fachkräftemangel forderte Heil Arbeitgeberverbände – und hier insbesondere den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) – auf, zunächst „vor der eigenen Haustür zu kehren und die Jobs der Branche attraktiver zu machen und besser zu bezahlen“.

Auch Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) sprach sich auf dem Gewerkschaftstag für eine Stärkung des Tariflohns aus. Nur ein Bruchteil der Betriebe im Gastgewerbe hielte sich in Ostdeutschland an die Tarifbindung. Gleichzeitig herrsche dort Fachkräftemangel. Zudem sei die Abbrecherquote unter den Azubis enorm hoch: Jede vierte Berufsausbildung werde in Deutschland nicht beendet. Bei der Ausbildung zur Restaurantfachkraft höre sogar jeder Zweite vor der Abschlussprüfung auf, so Jung.

Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, startete auf dem NGG-Gewerkschaftstag einen „Europa-Ruf“ an die Delegierten der NGG. Hoffmann übte dabei heftige Kritik an der Praxis, wie mit Werkverträgen für ausländische Arbeitnehmer umgegangen werde. Insbesondere eine Branche treibe es dabei auf die Spitze: „In der Fleischindustrie kommen hauptsächlich mobile Beschäftigte aus Mittel- und Osteuropa zum Einsatz. Es sind brutale Arbeitsbedingungen für diese Menschen. Deutschland wird durch Ausbeutung und unfairen Wettbewerb zum Billigheimer von Europa.“

Das Prinzip müsse daher lauten: „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort – dafür machen wir uns gemeinsam in Europa stark.“ Knapp sieben Monate vor der Europawahl forderte Hoffmann ein „solidarisches und soziales Europa, das seinen Namen verdient“ habe. Die Europawahl müsse die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Beschäftigten verbessern. Hoffmann: „Europa ist uns viel zu wichtig, als dass es scheitern darf.“

Auch Hoffmann kritisierte auf dem NGG-Gewerkschaftstag den Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga). Dieser starte eine Kampagne für eine Wochenzeit von 48 Stunden und erkläre das Arbeitszeitgesetz für veraltet und den 8-Stunden-Tag für überholt. „Wenn die Hälfte von Befragten im Gastgewerbe sagt, dass sie nach der Arbeit zu erschöpft für ihr Privatleben sind, dann ist das dramatisch und nicht hinnehmbar“, so Hoffmann.

Das Arbeitszeitgesetz sei ein Arbeitsschutzgesetz. Denn das Risiko für Arbeitsunfälle steige mit der ersten Überstunde deutlich an. Hoffmann richtete einen direkten Appell an die Arbeitgeber – namentlich an den Dehoga und an die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): „Hören Sie mit dem Unfug auf, an dem 8-Stunden-Tag zu schrauben. Das ist alter Wein in neuen Schläuchen. Den brauchen wir nicht.“

Zehn Jahre nach der Bankenkrise warnte Hoffmann: „Die Zockerei auf den Finanzmärkten ist wieder in vollem Gange.“ In Anspielung auf die Kandidatur von Friedrich Merz für den CDU-Parteivorsitz sagte der DGB-Chef, er mache ein Fragezeichen dahinter, ob jemand vom Finanzriesen Blackrock politische Verantwortung übernehmen solle.

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Link zu aktuellen Presse-Fotos vom Gewerkschaftstag der NGG in Leipzig: https://www.gewerkschaftstag-ngg.de/index.php?id=106

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