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Vorbildliche Sozialpartnerschaft?


100 Prozent gewerkschaftlicher Organisationsgrad in der Produktion, Tarifvertrag, aktiv gelebte Mitbestimmung – und das bei Tican AS, dem Tönnies-Schlachthof in Dänemark. Was Christian Andersen, Vertrauensmann und Betriebsrat unserer dänischen Schwestergewerkschaft NNF im Schlachthof in Brørup, NGG-Vertreter*innen vergangene Woche bei einem Besuch schilderte, spricht für eine Form der Sozialpartnerschaft, die in Deutschland, im Stammland des Fleischkonzerns, schon fast dem Reich der Phantasie anzugehören scheint. Die Realität bei uns: Betriebsräte nur an wenigen Standorten, Tarifvertrag Fehlanzeige und nur wenige Gewerkschaftsmitglieder.
Aber tatsächlich seien 100 Prozent Organisationsgrad auch in Dänemark heute nicht mehr üblich, so Jim Jensen, ehemaliger Schlachthofarbeiter und heute hauptamtlich als Vizepräsident bei der NNF für die Fleischindustrie zuständig. Auch in Dänemark greife Leiharbeit um sich, in vielen Betrieben lassen sich die Kolleg*innen nicht mehr vom Argument der Solidarität überzeugen. Allerdings gelte in den dänischen Schlachthöfen bis heute: Wer in der Produktion einen Arbeitsvertrag unterschreibt, unterzeichnet automatisch auch das Mitgliedsformular der NNF.
Neben dem Tönnies-Standort besuchten Thomas Bernhard, Wirtschaftsgruppenleiter Fleisch bei der NGG, Wiebke Warneck von der EFFAT, die auch das europaweite, gewerkschaftliche Projekt #meatthestandard in der Fleischindustrie betreut, und Susanne Uhl vom NGG-Hauptstadtbüro auch den Rinderschlachthof von Danish Crown in Holsted. Die Genossenschaft, in Dänemark ebenfalls strikt sozialpartnerschaftlich organisiert, hat über Jahre Lohn- und Regulierungsdumping in Deutschland zum Programm erklärt und alles „mitgenommen“, was die deutsche Fleischwirtschaft an Bösartigkeiten gegenüber ihren vorwiegend migrantischen Beschäftigten zu bieten hatte. Rund 20.000 Arbeitsplätze wurden damals aus Dänemark wegverlagert, eine Entwicklung, die sich auch vor dem Hintergrund des Verbots von Werkverträgen und Leiharbeit in Deutschland und angeglichener Preise für die Schlachttiere wieder leicht umkehrt.
Über diese und anderer Auswirkungen von Handelspolitiken und unternehmerischen Entscheidungen auf die Fleischbranche wird weiterdiskutiert werden, so die Verabredung mit den Kollegen von der NNF: Jim Jensen, Tom Jensen, Steen Karlsen und Christian Andersen – perspektivisch auch in Europäischen Betriebsräten!