Michaela Rosenberger über die Chancen der Zuwanderung Kommentar M. Rosenberger Gastgewerbe und Schutzsuchende

„Das Gastgewerbe leidet unter einem Nachwuchs- und Fachkräftemangel wie kaum eine andere Branche. In deutschen Hotels, Restaurants, Küchen und Cateringbetrieben fehlen zehntausende Fachkräfte und von den für 2015 erwarteten 40.000 Lehrstellen, die mangels Bewerber unbesetzt bleiben werden, geht ein großer Teil auf das Konto des Gastgewerbes. Längst hat der Fachkräftemangel ein Ausmaß angenommen, das den wirtschaftlichen Erfolg vieler Betriebe gefährdet und Hoteliers und Gastronomen voller Sorge in die Zukunft blicken lässt: Das Gastgewerbe hat ein Problem. Und das wird weiter wachsen, denn wo es heute keine Auszubildenden gibt, gibt es morgen keine Fachkräfte.

Gastgewerbe könnte eine wichtige Rolle spielen. Könnte

Rund 800.000 Menschen werden in diesem Jahr in Deutschland Asyl beantragen – ohne Frage eine riesige Herausforderung für unser Land. Für das Gastgewerbe könnte der Flüchtlingsstrom aber Teil der Lösung des (Fachkräfte-) Problems sein. Sind doch viele der Schutzsuchenden hochmotiviert und ausbildungsbereit. Junge Menschen aus Syrien, dem Irak oder Eritrea könnten die unbesetzten Stellen füllen und viele würden es mit Freude tun. Für Ausländer ist das Gastgewerbe schon lange eine erste Anlaufstelle auf dem deutschen Arbeitsmarkt: Fast ein Viertel der Beschäftigten stammt heute aus dem Ausland – branchenübergreifend liegt der Ausländeranteil bei nur 7,2 Prozent. Das zeigt: Bei der Integration der Flüchtlinge könnte das deutsche Gastgewerbe eine wichtige Rolle übernehmen. Könnte. 

Quittung für jahrelange Versäumnisse

Der Konjunktiv ist angebracht – leider. Besteht doch wenig Grund zur Annahme, dass man in der Branche diesmal die Zeichen und Chancen der Zeit erkennt. So kommt schließlich auch der Nachwuchsmangel nicht von ungefähr, sondern ist die Quittung der jahrelangen Versäumnisse vieler Arbeitgeber und ihres Arbeitgeberverbandes Dehoga. Obwohl es sich junge Menschen heute aussuchen können, in welchem Beruf sie sich ausbilden lassen, werden Auszubildende im Gastgewerbe weiterhin oftmals nicht als Lernende und lohnende Investition in die Zukunft, sondern als besonders billige Arbeitskräfte betrachtet. Obgleich angesichts des Fachkräftemangels eigentlich unverantwortlich, sind die Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen vielerorts noch immer schlecht. 

Arbeitsministerin Nahles hat die nach Deutschland kommenden Flüchtlinge mit Blick auf die demographische Entwicklung ‚einen Segen‘ genannt. Für das Gastgewerbe hat sie damit ohne Zweifel Recht, hier kommen die vielen hochmotivierten jungen Menschen wahrlich wie gerufen. Ohne grundlegende Veränderungen – und dazu war in der Vergangenheit eben wenig Bereitschaft erkennbar - hätte es die Branche nie und nimmer geschafft, wieder ausreichend viele junge Menschen anzuziehen. 

Bleibt nur zu hoffen, dass jetzt viele Betriebe diese Chance ergreifen und sich proaktiv um die Flüchtlinge bemühen. Dass viele Betriebe auf die Betreuungseinrichtungen und Ämter zugehen und den Schutzsuchenden eine qualitativ gute, faire Ausbildung und Arbeit zu ordentlichen Bedingungen bieten. Und bleibt zu hoffen, dass ihnen die Politik bei dieser wichtigen Integrationsarbeit keine Steine in den Weg legt. Wo es geht, müssen bürokratische Hindernisse abgebaut werden und natürlich müssen jene, die eine Ausbildung begonnen haben, in Deutschland bleiben dürfen. 

Mindestlohn herabsetzen wäre unverantwortlich

Unverantwortlich wäre es, wenn, wie bereits öffentlich gefordert, der Mindestlohn für Flüchtlinge herab- oder gar ausgesetzt würde. Schnell würde so ein Arbeitsmarkt unterhalb der gerade eingezogenen Mindestlohngrenze entstehen – nicht nur, aber auch und gerade im Gastgewerbe. Dabei ist neun Monate nach seiner Einführung längst klar, dass der Mindestlohn keine Jobs gekostet, sondern maßgeblich zum derzeitigen Boom auf dem Arbeitsmarkt beigetragen hat – nie zuvor gab es so viele sozialversicherungspflichtige Jobs wie heute. Das Aussetzen des Mindestlohns für eine solch große Gruppe wie die der in Deutschland Schutzsuchenden, wäre de facto das Ende des Mindestlohns in Deutschland. Asylkritikern und Rechtpopulisten böte es idealen Nährboden, würden doch viele, die heute vom Mindestlohn profitieren, ihren Job an die noch schlechter bezahlten Neuankömmlinge verlieren. Und überhaupt: Was wäre das für ein Signal an die Flüchtlinge, dass ihre Arbeit grundsätzlich weniger wert ist als die ihrer Gastgeber? Schlimm wäre es, wenn es die Politik skrupellosen Arbeitgebern leicht machen oder gar erlauben würde, Menschen, die vor Krieg und Elend geflüchtet sind, als Billigarbeitskräfte auszunutzen. 

Das Gastgewerbe als erste Anlaufstelle

Das Gastgewerbe kann einen wichtigen Beitrag zur Integration leisten, kann vielen Flüchtlingen eine erste Anlaufstelle auf dem deutschen Arbeitsmarkt sein und gleichzeitig dem eigenen Fachkräftemangel entgegenwirken. Dafür muss die Branche diese Chance erkennen und sie engagiert und verantwortungsvoll nutzen. Und die Politik muss dafür sorgen, dass es den schwarzen Schafen der Branche unmöglich ist, Flüchtlinge gnadenlos auszunutzen und sich so einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu verschaffen.“ 

Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), am 17. September 2015

Resolution: Schutzsuchende willkommen heißen