„Seit einem Jahr ist Arbeit in Deutschland mindestens 8,50 Euro pro Stunde wert. Mit der Einführung des Mindestlohns in Deutschland zum 1. Januar 2015 gilt in 22 der 28 EU-Staaten eine solche Lohnuntergrenze. Nicht nur in der EU, auch in den meisten außereuropäischen Industrienationen gehören gesetzliche Mindestlöhne heute zu den selbstverständlichen Instrumenten der Arbeitsmarktregulierung. Und das mit gutem Grund: Der Mindestlohn funktioniert. Er stärkt die Binnennachfrage, entlastet den Staatshaushalt, sorgt für mehr Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt und schafft faireren Wettbewerb zwischen Unternehmen.
Weniger Minijobs, mehr sozialversicherungspflichtige Beschäftigung
Ein Blick in das deutsche Gastgewerbe, eine Branche, die besonders vom Mindestlohn betroffen ist, zeigt, welch positive Auswirkungen seine Einführung auch hierzulande hat. Das Gastgewerbe verzeichnete für das erste Halbjahr 2015 ein nominales Umsatzplus von 4,4 Prozent. In der Teilbranche Beherbergung lag das Plus mit 5,0 Prozent sogar noch höher. Im gleichen Zeitraum ist die Zahl der geringfügig Beschäftigten im Gastgewerbe um 73.000 gesunken und die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erstmals auf über eine Million gestiegen: Seit der Mindestlohn gilt, wurden in deutschen Hotels, Restaurants und bei den Caterern reihenweise Minijobs in reguläre, sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umgewandelt.
Trend gestoppt?
Noch ist es zu früh eine endgültige Bilanz zu ziehen, aber fast scheint es, als sei der jahrelange Trend zu immer mehr Minijobs und weniger regulären Vollzeitstellen vorerst gestoppt. Für eine Branche, die händeringend nach Fachkräften und Nachwuchs sucht, wäre das ein wichtiges Signal. Auch, weil der Ausblick auf eine Zukunft als Minijobber wenig attraktiv für junge Menschen ist, die vor der Entscheidung stehen, in welcher Branche sie eine Ausbildung beginnen. Wegen sinkender Schulabgängerzahlen und einem Trend zum Studium, kann es sich ein Großteil der Jugendlichen heute aussuchen, welchen Beruf sie erlernen wollen.
Das Branchen-Image hat viel Potenzial
Im Wettkampf der Branchen und Berufe zieht das Gastgewerbe dabei heute leider regelmäßig den Kürzeren: Vergleichsweise niedrige Löhne und Ausbildungsvergütungen, überlange Arbeitszeiten, die nicht selten unentgeltlich erfolgen müssen, Fälle von Ausbeutung mit Löhnen weit unterhalb von 8,50 Euro, eine miese Ausbildungsqualität und ein „rauher Ton“ in so mancher Küche: Das Branchen-Image hat viel Potenzial.
Mindestlohn als Chance
Mit Blick auf den Ruf der Branche wäre es zu wünschen, dass der Mindestlohn als Chance begriffen, und nicht bei jeder Gelegenheit als „Bürokratiemonster“ diffamiert wird. Tatsächlich gibt es keinen Grund, warum die korrekte Erfassung der Arbeitszeit gerade im Gastgewerbe ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte. Zum einen gibt es längst kostengünstige und technisch ausgereifte Systeme, mit denen per Knopfdruck sichergestellt ist, dass die Arbeitszeit nachprüfbar dokumentiert wird. Zum anderen genügen auch ein Stift, eine Uhr und ein Blatt Papier um dem Mindestlohngesetz in wenigen Sekunden pro Tag Genüge zu tun. Mit den lautstarken Äußerungen über das angebliche „Bürokratiemonster Mindestlohn“ und – im Hinblick auf die Attraktivität der Branche vielleicht noch kontraproduktiver - der Forderung nach einer Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, hat der Arbeitgeberverband DEHOGA der Branche keinen Dienst erwiesen: Einmal mehr wurde so das Bild einer Branche gezeichnet, in der die Belange der Beschäftigten wenig zählen und die es mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt.
Das Jahreszeugnis fällt positiv aus
Auch und gerade im Gastgewerbe fällt das Jahreszeugnis des Mindestlohns positiv aus. Die Einkommen der Beschäftigten sind gestiegen, genauso wie die Umsätze ihrer Arbeitgeber. Statt zu massenhaften Jobverlusten hat der Mindestlohn zu mehr sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung geführt. Und der Mindestlohn sorgt für mehr Chancengleichheit unter den Arbeitgebern und schützt sie endlich vor Schmutzkonkurrenz, die mit Kampfpreisen, die nur möglich sind, weil Beschäftigte gnadenlos ausgebeutet werden, die Preise kaputt machen.“
Michaela Rosenberger, NGG-Vorsitzende, am 22. Dezember 2015
Dieses Kommentar erscheint auch in der nächsten Ausgabe der Cost & Logis.