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Keine versteckte Rentenkürzung


Die NGG lehnt eine längere Lebensarbeitszeit ab. Im Interview erläutert der NGG-Vorsitzende Guido Zeitler, was Beschäftigten stattdessen hilft, um morgen eine sichere und faire Rente zu bekommen.
Guido, immer wieder hören wir, dass mit der höheren Lebenserwartung auch ein späterer Renteneintritt notwendig sei. Richtig?
Ich kann mir nicht vorstellen, wie jemand mit 67 Jahren bei sieben Grad Temperatur einen Arbeitstag lang Schweinehälften verwurstet und dafür immer wieder 30 Kilo oder mehr heben muss. Oder mit 68 Jahren um 21.00 Uhr zur Nachtschicht fährt, um die ganze Nacht lang Joghurt, Bier, Brot, Mehl oder Pizza zu produzieren. Auch in der Gastronomie sehe ich das nicht. Stress in der Küche, gebückt Betten machen oder stundenlang nach 18:00 Uhr Gäste mit einem fröhlichen Lächeln bedienen. Nur weil die Medizin weiter ist und wir alle älter werden, heißt das doch nicht, dass wir alle auf einmal länger arbeiten können. Schichtarbeit bleibt extrem belastend. Viele Mitglieder in unseren Branchen sagen, dass sie schon jetzt nicht bis 67 durchhalten. Und das Entscheidende: Sie wollen es auch nicht.
Woran liegt das?
Der Arbeitsdruck ist derzeit enorm, zahlreiche Kolleginnen und Kollegen müssen heute schon mit erheblichen gesundheitlichen Einschränkungen in Rente gehen. Die Forderung nach einer längeren Lebensarbeitszeit ist nichts anderes als eine versteckte Rentenkürzung. Das machen wir als NGG nicht mit. Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, muss abschlagsfrei in Rente gehen dürfen. Das ist fair und gerecht.
Ist die gesetzliche Rente bezahlbar, wenn morgen noch mehr Menschen in Rente gehen?
Auf Druck der Arbeitgeber ist der Beitragssatz zur Rentenversicherung seit 2011 gesunken, auf 18,6 Prozent. 2011 lag dieser noch bei 19,9 Prozent. Von der Rentenversicherung profitieren aber nicht nur die, die einzahlen. Denn die gesetzliche Rentenversicherung zahlt an viele Menschen Renten aus, die aufgrund ihrer Lebensumstände nicht immer die Möglichkeit hatten, genügend hohe eigene Beträge einzuzahlen. Zum Beispiel an diejenigen, die eine Aufwertung ihrer Rente durch die Mütterrente oder Grundrente bekommen. Das ist das Besondere und Wertvolle an der gesetzlichen Rente. Sie hat eben auch einen solidarischen Gedanken und ein solidarisches Wirken in ihrem System.
Dafür gibt es die Zuschüsse des Bundes.
Genau. Daher ist das Gerede um die angeblich zu hohen Bundeszuschüsse für die Rentenkasse nicht sachgerecht. Wichtige sozialstaatliche Leistungen werden über die Rentenversicherung geleistet und sind somit über Steuermittel zu bezahlen. Die Bundeszuschüsse müssen also steigen, wenn wir zum Beispiel die Mütterrente besser stellen wollen.
Funktioniert die gesetzliche Rente?
Die gesetzliche Rente als Umlagesystem hat in Deutschland zwei Weltkriege überlebt, sie funktioniert seit 125 Jahren. Die Ausgaben im Sozialsystem sind im Verhältnis zur gesamtwirtschaftlichen Leistung auch nicht gestiegen. Ganz im Gegensatz zu den Gewinnen aus der Wertschöpfung. Diese Gewinne erwirtschaften unsere Kolleg*innen in der Schichtarbeit der Ernährungswirtschaft oder morgens um fünf Uhr auf dem Milchlaster mit ihrer Hände Arbeit. Die Gewinne fließen aber immer stärker als Dividende den Aktionären und den Überreichen im Land zu. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Das funktioniert nicht. Wir müssen unseren Wohlstand endlich gerecht verteilen.
Woran hakt es bei der Rente?
Wir leisten uns den Luxus, dass ganze Berufsgruppen wie Apothekerinnen, Ärzte, Notare, Rechtsanwältinnen, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer nicht wie alle anderen in die gesetzliche Rente einzahlen. Dabei verdienen sie sehr gut. Sie haben ihre eigenen Rentenversorgungswerke und dadurch auch meist höhere Leistungen. Und insbesondere von Vertreterinnen und Vertretern aus diesen Berufen hören wir immer wieder, dass die gesetzliche Rente nicht finanzierbar ist. Das halte ich für einen schrägen Blick auf die derzeitige Debatte. Wir müssen den Kreis der Beteiligten in der gesetzlichen Rente vergrößern und damit mehr Solidarität im System schaffen. Und wir dürfen Renditen aus Kapital und Dividende bei der Finanzierung nicht völlig außer Acht lassen. Mit großzügigen Freibeträgen ließe sich das gerecht und einfach steuern.
Wie sieht aus Sicht der NGG eine lebensstandardsichernde Rente aus?
Ich plädiere für Ehrlichkeit bei dem Thema. Die gesetzliche Rente funktioniert im Kern nach dem Äquivalenzprinzip. Das bedeutet, dass die Höhe meiner Rente im Wesentlichen von der Höhe meiner Beiträge abhängt und daher von dem, was ich verdiene. Für höhere Rentenauszahlungen braucht es daher wieder ein höheres Rentenniveau von 53 Prozentwie wir es fordern und vor allem sehr viele Jahre gut bezahlter Vollzeitarbeit zu guten Tarifbedingungen, möglichst über die gesamte Erwerbstätigkeit.
Reicht das?
Bei dem derzeitigen Lohnniveau oft leider nicht immer. Wer viele Jahre in Teilzeit oder im Niedriglohnbereich arbeitet oder lange Sorgearbeit geleistet hat, wird keine auskömmliche Rente bekommen können. Dies betrifft leider viel zu häufig insbesondere Frauen, wie wir aus den Zahlbeträgen der Rentenversicherung wissen. Hier ist auch die Politik gefragt. Wir müssen Billigjobs und Lohndumping bekämpfen und die Tarifbindung durch ein Bundestariftreuegesetz stärken. Erfreulich ist, dass das Kabinett den Entwurf am 6. August beschlossen hat; geht alles seinen weiteren Weg, dürfte das Gesetz bis Jahresende in Kraft getreten sein. Schon damit hätten wir deutlich bessere Voraussetzungen für faire Vollzeitarbeit, die ein gutes Leben und eine zukunftsfeste Rente ermöglicht.
Oft wird behauptet, ein Weiter so in der Rente belaste gerade die junge Generation.
Umfragen des DGB oder der IG Metall zeigen: Gerade junge Menschen haben ein großes Interesse an einer soliden gesetzlichen Altersvorsorge. Sie würden auch höhere Beiträge zahlen, wenn dann auch die Höhe der Rentenauszahlung stimmt.
Lohnt sich das?
Die DGB-Berechnungen zeigen, dass gerade junge Menschen von einer sicheren gesetzlichen Rente profitieren, ganz im Gegensatz dazu, wenn sie die Risiken über einen kapitalgedeckten Weg absichern müssten. Ich kann verstehen, dass junge Menschen verunsichert sind, wenn die gesetzliche Rente mit Absicht schlechtgeredet wird. Hier gilt mein Appell an die Politik, zur Sachebene zurückzukehren, statt in Alarmismus zu verfallen.
Was kann ich selbst machen?
Wir brauchen als erstes eine starke gesetzliche Rente. Diese Forderungen müssen wir gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen in die Politik tragen. Wir brauchen aber auch mehr betriebliche Altersvorsorge. Betriebsrenten sind eine sinnvolle Ergänzung zur gesetzlichen Rente. Als NGG verhandeln wir mit den Arbeitgebern eine bessere betriebliche Altersversorgung. Hier muss der Gesetzgeber besser unterstützen und die Arbeitgeber verpflichten, ihren Teil beizutragen und Mittel bereitzustellen. Nur bei entsprechenden Arbeitgeberbeiträgen können die Beschäftigten mit eigenem Geld eine Basis neben der gesetzlichen Rente schaffen. Worte allein helfen wenig.
Die Altersvorsorge bleibt also Thema bei NGG?
Natürlich. Die gesetzliche Rente ist und bleibt der wichtigste Baustein, um im Alter würdevoll leben zu können. Sie ist mehr als eine Versicherung, sorgt durch ihr Umlagesystem als Kit für die Generationen und zeigt, dass wir solidarisch miteinander umgehen und uns auch um diejenigen kümmern, die gerade nicht so können, wie sie vielleicht wollen. Damit ist die gesetzliche Rente ein wesentlicher Bestandteil unserer demokratischen Kultur. Daran dürfen wir nicht sägen, das wäre gefährlich.