Warum die Argumente der Arbeitgeber nicht ziehen Faktencheck: Werkverträge und Leiharbeit in der Fleischindustrie

Mehrere Zehntausend Menschen arbeiten als Leiharbeiter*innen oder per Werkvertrag in den Betrieben der Fleischwirtschaft. Die Gewerkschaft NGG kämpft für ein Ende der Ausbeutung in der Branche. Im September berät der Bundestag über gesetzliche Verschärfungen.

Die Fleischindustrie wird aus Deutschland abwandern? Die Beschäftigten wollen gar nicht fest angestellt werden, sondern flexibel arbeiten und schnell Geld verdienen? Und überhaupt ist der Verbraucher Schuld an den schlechten Arbeitsbedingungen, weil er billiges Fleisch kaufen will? Zehn Argumente der Arbeitgeber gegen ein Verbot von Leiharbeit und Werkverträgen in der Fleischwirtschaft auf dem Prüfstand.

Diese Aussage ist gleich doppelt problematisch und falsch.

  • Für die Werkvertragsunternehmen sind ihre Beschäftigten das eigentliche Kapital. Sie verdienen mit diesen Menschen Geld und wollen dieses System natürlich nicht aufgeben. Deshalb streuen sie zum Teil Gerüchte und versuchen die Beschäftigten zu beeinflussen. Beschäftigte von Werkvertragsunternehmen sind in der Regel keine Saisonarbeiter*innen. Sie haben einen deutschen Arbeitsvertrag und vielfach auch ihren Lebensmittelpunkt – und den ihrer Familien - nach Deutschland verlagert. Sie möchten sich hier ein Leben aufbauen und bleiben auch nach dem Verlust eines Arbeitsplatzes auf der Suche nach einer Neueinstellung. Allerdings verhindern gerade die soziale Isolation der Beschäftigten und ihre Abschottung in Massenunterkünften und Arbeitskolonnen, wo sie nur mit eigenen Landsleuten leben und arbeiten, jegliche Integrationsmöglichkeit.
  • Die Arbeitnehmer*innen sind jetzt schon festangestellt, und zwar bei den Werkvertragsunternehmen. Für sie bestehen dieselben Kündigungsfristen, Urlaubs- und Arbeitszeitregelungen wie für alle anderen Beschäftigten. Eine Festanstellung direkt beim Fleischkonzern würde nichts an ihrer Flexibilität ändern. Im Gegenteil: Vielleicht würde sie sich sogar erhöhen und die Arbeitsbedingungen und wahrscheinlich auch die Bezahlung sich deutlich verbessern. Denn haustarifliche Bestimmungen, die in der Regel bei den großen Konzernen der Fleischwirtschaft gelten, sind oft günstiger für die Arbeitnehmer*innen als die gesetzlichen Mindestanforderungen. Unzählige Berichte aus der Praxis belegen hingegen, wie Subunternehmen regelmäßig und rechtswidrig spontane Überstunden und Extraschichten verordnen oder Arbeitszeiten, Einsatz- und Urlaubspläne kurzfristig verändern. Es gilt: Wer nicht jederzeit zur Verfügung steht, verliert den Job. Das bedeutet alles andere als Flexibilität für die Beschäftigten.

Die Werkvertragsunternehmen sollten keinen Einfluss darauf haben. Wenn ihre Arbeitnehmer*innen "ziehen" wollen, weil sie beispielsweise ein besseres Angebot haben, gelten für sie die normalen Kündigungsfristen des deutschen Arbeitsrechtes. Etwas anderes zu behaupten zeigt nur, dass es in der Praxis andere Abhängigkeitsstrukturen gibt, wie die gleichzeitige Bereitstellung einer Wohnung usw., die es den Arbeitnehmer*innen möglicherweise erschweren, ihren Job zu kündigen. Diese Art von Abhängigkeiten müssen durchbrochen werden.

Zudem sind die Werkvertragsunternehmen in der Fleischindustrie keine eigenständigen Unternehmen, die ihre Leistungen für mehrere Auftraggeber erbringen. Sobald Fleischkonzerne sie aufgrund des neuen Gesetzes nicht mehr einsetzen dürfen, geht ihr Geschäftsmodell zugrunde und sie werden ihre Arbeitnehmer*innen gar nicht mehr gebrauchen können.

Wenn es saisonalen Bedarf an Arbeitskräften gibt, können die Unternehmen ohne Weiteres dafür befristete Arbeitsverträge schließen. Genau für diesen vorübergehenden Bedarf an Arbeitskräften hat der Gesetzgeber den § 14 Abs. 1 TzBfG geschaffen: „Die Befristung eines Arbeitsvertrages ist zulässig, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt insbesondere vor, wenn

1. der betriebliche Bedarf an der Arbeitsleistung nur vorübergehend besteht,…“

Zudem könnten die Arbeitgeber der Fleischwirtschaft, wie alle anderen Arbeitgeber auch, die Arbeitszeit vorübergehend verlängern, sprich Mehrarbeit anordnen. Nach dem Arbeitszeitgesetz ist das sogar bis auf 10 Stunden am Tag an 6 Werktagen in der Woche möglich.

Das deutsche Arbeits- und Tarifrecht ermöglicht bereits jetzt auch den innerbetrieblichen Ausgleich von Auftragsspitzen, beispielsweise durch den tariflich geregelten Austausch von Arbeitern über Standorte hinweg, die tariflich vereinbarte Einführung von Arbeitszeitkonten oder die Befristung von Arbeitsverträgen mit Sachgrund. Viele andere Branchen kommen mit diesen Instrumenten gut aus.

Vor allem Leiharbeitsunternehmen, die in den letzten Jahren aufgrund der guten Arbeitsmarktsituation einen Rückgang ihrer Beschäftigtenzahlen verzeichneten, sehen in der Fleischbranche riesige neue Geschäftsbereiche. Was sie unter „Saison“ verstehen, lässt aber erahnen, wo dieser Weg hinführt, wenn er einmal eröffnet wird: erst kommt Ostern, dann die Grillsaison, die Urlaubszeit, das Weihnachtsgeschäft und obendrauf kommen noch Exportaufträge (https://bit.ly/3i3wtSA) – der „saisonale“ Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften erstreckt sich über das ganze Jahr.

Ein Verbot von Werkverträgen bei gleichzeitiger Beibehaltung von Leiharbeit würde das Problem nicht beheben. Die Hürden für die Gründung eines Leiharbeitsunternehmens sind nicht hoch. Es ist wahrscheinlich, dass die bisherigen Werkvertragsunternehmen sich in Leiharbeitsunternehmen umfirmieren. Dann ist nichts gewonnen.

Auch dieses Argument ist vorgeschoben. Es muss erstmal kein neues Personal gewonnen werden. Das Personal, das bisher bei den Subunternehmen angestellt war, kann nach der gesetzlichen Änderung direkt bei den Schlachthöfen beschäftigt werden; so wie es normalerweise sein sollte und in anderen Branchen üblich ist. Sollte es dennoch notwendig sein, kann die Anwerbung weiterer Fachkräfte weiterhin durch die Betriebe selbst, durch die Bundesagentur für Arbeit oder private Arbeitsvermittler erfolgen.

Aber vor allem sollte dem sich schon seit Jahren abzeichnenden Mangel an Fachkräften in der Fleischwirtschaft durch bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen sowie durch mehr Ausbildung entgegengewirkt werden. Die Ausbildungszahlen in der Branche haben sich seit 2008 mehr als halbiert. 2018 gab es in der ganzen Branche mit ca. 160.000 Beschäftigten lediglich 4500 sozialversicherungspflichtige Ausbildungsverhältnisse; mehr als die Hälfte davon in Betrieben mit weniger als 50 Beschäftigten. Auch im Bereich der Gewinnung und der Ausbildung des Nachwuchses hat die Branche also ihre Verantwortung nicht wahrgenommen.

Die Gefahr, dass Schlachthöfe ins Ausland abwandern, ist gering. Die Schlachthöfe sind hoch technisiert und extrem komplex. Eine Verlagerung ins Ausland ist mit großen Risiken verbunden. So ist die Verarbeitung eng mit der Landwirtschaft verbunden. Eine Verlagerung ins Ausland scheitert schon daran, dass die langen Transportwege nicht zulässig sind. Und auch im Ausland stellt sich die Frage, woher das Personal kommen soll. Die Löhne sind so niedrig, dass auch im Ausland für dieses Lohnniveau nur schwer Personal zu bekommen sein wird. In vielen anderen Ländern sind die Werkverträge, wie sie in Deutschland bisher üblich sind, bereits verboten oder nie zugelassen gewesen. Im Übrigen haben sich andere Mitgliedstaaten der EU (z.B. Frankreich, Belgien und Dänemark) bei der Kommission über Deutschland beschwert, weil das Land im Bereich Fleischwirtschaft Lohn- und Sozialdumping zu Lasten anderer Staaten in der EU betreibe.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat im Jahr 2019 in der Fleischwirtschaft 276 strafrechtliche Ermittlungsverfahren und 138 Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet. Bei mehr als ein Drittel der kontrollierten Betriebe wurden Ermittlungen aufgrund des Verdachts auf Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt oder Mindestlohnverstößen eingeleitet.

Nach Angaben der zuständigen Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) wurden in den Jahren 2018 und 2019 durch die Aufsichtspersonen der BGN über 19.000 Mängel bei ca. 6.000 Betriebskontrollen im Fleischgewerbe festgestellt.

Auch Arbeitsschutzkontrollen durch die Bundesländer zeigen verheerende Verhältnisse auf. So wurden 2019 in NRW 30 große Schlachthöfe mit rund 17.000 Beschäftigten kontrolliert und bei 26 davon teils gravierende Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften festgestellt.

Es handelt sich dabei nicht um „schwarze Schafe“. Diese Behauptung wird seit Jahren von der Branche vorgeschoben, um klare gesetzliche Regulierungen zu vermeiden. Wie die Ergebnisse der Kontrollen auch zeigen, handelt es sich bei der Ausbeutung von Beschäftigten um ein System. Der Schlachthofbetreiber schafft die baulichen Voraussetzungen für die Produktion und hält die gesamte technische Infrastruktur auf dem Betriebsgelände vor. Bis zu 90 Prozent der Schlachtung und Fleischverarbeitung in Fleischbetrieben werden aber im Rahmen von Werkverträgen an Subunternehmen ausgelagert. Diese sind zwar zuständig für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ihrer Beschäftigten, haben aber keinen Einfluss auf die Arbeitsplanung in den Schlachthöfen. Dies führt oft zu unmäßigen Überstunden und Erschöpfung und damit zu einer erhöhten Unfall- und Gesundheitsbelastung.

Die Werkvertragsunternehmen stehen in starker Konkurrenz zueinander und arbeiten - durch die niedrigen Volumen der ursprünglichen Auftragsvergabe - ständig am Limit ihrer Profitmarge. Sie nutzen also jede – auch rechtwidrige – Möglichkeit, um die Löhne der Beschäftigten zu drücken, da sie sonst nichts daran verdienen.

Die Debatte um den Fleischpreis ist eine Scheindebatte, um von den Missständen in der Branche abzulenken. Mehrere Argumente sprechen dagegen:

  • Wenn der billige Fleischpreis, den wir heute in Deutschland haben, nur möglich ist, weil er auf Ausbeutung basiert, dann können die Preise nicht bleiben, wie sie sind. Im Übrigen: Höhere Kosten für bessere Arbeitsverhältnisse müssen nicht zwangsläufig zu Lasten der Verbraucher*innen gehen. Sie können auch dazu führen, dass Tönnies und Co. weniger Gewinn für sich haben.
  • Die Arbeitskosten machen zehn Prozent an der Gesamtschlachtkosten bei Schweinen und Rindern und 15 Prozent bei Geflügel aus. Der Anteil der Schlacht- und Zerlegekosten am Endpreis des Fleisches ist extrem gering. Auch eine deutliche Verbesserung der Löhne würde sich, wenn überhaupt, nur minimal auf den Endpreis auswirken. (Dr. Josef Efken, Thünen Institut https://bit.ly/3k7HUuk)
  • Bei der Zwischenschaltung von Sub- und Leiharbeitsunternehmen verdienen auch diese an dem Modell. Dies passiert heute durch die Aushebelung von Tarifverträgen, das rechtswidrige Drücken von Löhnen, überzogene Mieten, die aus dem Lohn abgezogen werden, Transportkosten usw. Entfallen diese Unternehmen als Glieder der Kette, können die Personalkosten steigen, ohne dass sich der Endpreis wesentlich verändert.

Grafik: Faktoren, die den Fleischpreis beeinflussen

DGB

Das Argument ist nur bedingt richtig. Konsumenten orientieren sich am Preis und entscheiden sich oft für das billigste Produkt. Aber sie legen nicht die Preise fest. Der Konsument hat in Wirklichkeit keinen Einfluss auf die Preisgestaltung. Der Druck auf die Erzeuger und Verarbeitungsunternehmen kommt nicht vom Konsumenten, sondern vom Handel. Dort herrscht ein harter Preiskampf untereinander, billige Preise sind Lockmittel für die Konsumenten. In der Praxis schwanken die Preise ohnehin sehr stark. Richtig ist, dass in Deutschland Fleisch viel zu billig ist. Aber Preiserhöhungen allein sind keine Garantie, dass die Arbeitsbedingungen automatisch besser werden. Das Problem muss andersrum angegangen werden – mit der Verbesserung der Beschäftigungsbedingungen. Dann werden wir es auch mit dem realistischen Preis zu tun haben, und der Verbraucher wird diesen - geringfügig höheren - Preis auch zahlen.

Ein branchenbezogenes Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit in der Fleischwirtschaft würde grundsätzlich weder das Grundrecht auf Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG verletzen noch unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung gegenüber Unternehmen anderer Wirtschaftszweige den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Dazu hat der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten erstellt (https://bit.ly/2XoZY9k). Ein weiteres Kurzgutachten von Prof Deinert im Auftrag des Arbeitsministeriums des Landes NRW kommt zu dem gleichen Ergebnis (https://bit.ly/3gpLRYO).

Auch gelegentlich geäußerte unionsrechtliche Bedenken stehen einem Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit grundsätzlich nicht entgegen. Die Dienstleistungsfreiheit gilt nicht uneingeschränkt. Auch tätigkeitsbezogene Regelungen können die Dienstleistungsfreiheit beschränken. Zu den hierfür erforderlichen Gründen des Allgemeinwohls kann gerade auch der Arbeitnehmerschutz gehören.

Die Konstruktion der Werkverträge wurde auch geschaffen, um die Rechte der (oft ausländischen) Beschäftigten zu schwächen. Ein Verbot von Werkverträgen und Leiharbeit hat zur Folge, dass die Beschäftigten direkt bei den Fleischkonzernen angestellt werden müssen. Eine Festanstellung schafft die Voraussetzungen  für bessere Gestaltungsmöglichkeiten für gute Arbeitsbedingungen:

  • Die Zuständigkeit für die Produktions- und Personalplanung und für den Arbeits- und Gesundheitsschutz sind endlich klar und einheitlich. So kann auch die Einhaltung von Maßnahmen zur Unfall- und Krankheitsprävention für alle umgesetzt werden und kontrolliert werden. Vermeidbare Unfälle würden nicht mehr passieren.  
  • Die Beschäftigten würden unter dem Geltungsbereich von existierenden Haustarifverträgen fallen. Auch Branchentarifverträge werden leichter möglich.
  • Ihre Interessen könnten durch eine gestärkte betriebliche Mitbestimmung vertreten werden. Betriebsräte überwachen die Arbeitssicherheit, wirken an Schichtplänen mit und müssen bei Überstunden beteiligt werden.
  • Durch geordnete Arbeitsbedingungen wird es reale Chancen für eine gewerkschaftliche Organisierung der Beschäftigten geben.
  • Die Voraussetzungen für Kontrollen von Finanzkontrolle Schwarzarbeit, Arbeitsschutzbehörden und Berufsgenossenschaften werden verbessert, so dass  endlich effektive Kontrollen möglich werden.

Diese Verbesserungen sind aber kein Automatismus. Es muss sichergestellt werden, dass Unternehmen keine Schlupflöcher finden, wie sie weiterhin Verantwortlichkeiten verschleiern können. Kontrollbehörden müssen mit ausreichenden personellen und technischen Ressourcen ausgestattet werden. Tarifpartnerschaft und betriebliche Mitbestimmung müssen in den Konzernen gelebt und nicht weiterhin um jeden Preis verhindert werden.