Unfaire Handelspraktiken sind an der Tagesordnung im Lebensmittelhandel. Die vier größten Handelsketten teilen 85% aller Umsätze unter sich auf. Das bedeutet jede Menge Marktmacht. Lange Zeit haben Lieferanten und Landwirte dies hinnehmen müssen, weil unfaire Handelspraktiken nicht verboten waren und es dafür keine Beschwerdestelle gab. Seit dem 9. Juni 2021 ist das anders.
Um was geht es?
Im neuen Gesetz, das seit dem 9. Juni 2021 gilt, sind neun Praktiken per se verboten. Und einige sind es dann, wenn sie nich in der Liefervereinbarung „klar und eindeutig“ geregelt sind (mehr Infos).
Zu den verbotenen unfairen Handelspraktiken zählen zum Beispiel Listungsgebühren und Zahlungen, die von Käufern nicht innerhalb von 30 Tagen für verderbliche Produkte und von 60 Tagen für andere Produkte erfolgen. Oder Zahlungen, bei denen kein spezifischer Zusammenhang mit dem Verkauf von Erzeugnissen des Lieferanten besteht. Hierunter können viele unfaire Handelspraktiken gefasst werden. Nicht erlaubt sind auch einseitige Vertragsänderungen, eine kurzfristige Stornierung (innerhalb von 30 Tagen) oder die Beteiligung an den Lagerkosten des Käufers.
Schwierig ist es, wenn unfaire Handelspraktiken nur mündlich vereinbart werden. Das ist nicht selten der Fall – beispielweise in der Fleischverarbeitung. Der Lieferant hat nun aber das Recht, eine schriftliche Bestätigung des Vertragsinhalts zu verlangen. Droht der Käufer mit Vergeltungsmaßnahmen – zum Beispiel mit Auslistung - wenn der Lieferant auf seine gesetzlich geschützten Rechte pocht, macht er sich strafbar.
Für welche Handelsstufen gilt das Gesetz?
Jedes Unternehmen in der Lebensmittelversorgungskette – vom Landwirt bis zum industriellen Lebensmittelhersteller - kann sich über unfaire Handelspraktiken seines Käufers beschweren, auch Unternehmen außerhalb der EU. Aber die Sache hat einen Haken: es gibt Umsatzschwellen (mehr Infos in der am Textende bereitgestellten Präsentation).
Wo kann sich ein Lieferant beschweren?
Zuständig für die Beschwerden ist ein neu eingerichtetes Ermittlungsreferat bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Diese hat zunächst hat ein Online-Beschwerdeformular eingerichtet. In Planung ist darüber hinaus ein anonymes Hinweisgebersystem.
Wird Vertraulichkeit gewahrt?
Der Schutz der Vertraulichkeit hat für die BLE hohe Priorität. Denn wer unfaire Handelspraktiken melden will, muss sich sicher sein, dass "sein" Unternehmen nicht als Strafe für die Meldung von den mächtigen Handelskonzernen ausgelistet wird. Die BLE hat hier häufige Fragen und Antworten, auch zur Vertraulichkeit von Meldungen veröffentlicht.
Du hast Fragen zum neuen Gesetz oder zum richtigen Umgang mit unfairen Praktiken der Handelsketten? Schreib eine E-Mail an: hv.berlin@ngg.net
Mehr Infos: Instrumente gegen Preisdruck und Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels (LEH)